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Mehr InformationenDie Verdachtsberichterstattung stellt Medien regelmäßig vor juristische Herausforderungen. Wie weit darf die Presse gehen, wenn über mutmaßliches Fehlverhalten berichtet wird – bevor eine gerichtliche Klärung erfolgt? Ein aktueller Fall aus Hessen unterstreicht: Ohne vorherige, konkrete Anhörung der betroffenen Person ist eine Verdachtsberichterstattung unzulässig. Doch warum ist das so?
Was ist Verdachtsberichterstattung?
Verdachtsberichterstattung beschreibt journalistische Beiträge, die nicht über bewiesene Tatsachen, sondern über den Verdacht strafbaren oder sonstigen Fehlverhaltens berichten. Dies kann etwa bei laufenden Ermittlungsverfahren oder anonymen Hinweisen der Fall sein.
Die Pressefreiheit erlaubt auch solche Berichte – aber nur unter strengen Voraussetzungen. Der Grundsatz der Unschuldsvermutung und das allgemeine Persönlichkeitsrecht der betroffenen Person müssen stets gewahrt bleiben.
Verdachtsberichterstattung im Presse- und Medienrecht: Aktuelle Rechtsprechung und Urteile
Die Verdachtsberichterstattung steht im Spannungsfeld zwischen Pressefreiheit (Art. 5 GG) und Persönlichkeitsrecht (Art. 2 GG). Die Rechtsprechung hat klare Kriterien entwickelt, die Journalisten bei der Berichterstattung über ungeklärte Vorwürfe beachten müssen. Im Folgenden stellen wir die maßgeblichen Urteile mit Gericht, Aktenzeichen, Entscheidungsdatum und direkten Links dar.
Grundsätze der Verdachtsberichterstattung
Folgende Voraussetzungen müssen kumulativ erfüllt sein:
Berechtigtes öffentliches Interesse
Mindestbestand an Beweistatsachen
Einhaltung journalistischer Sorgfalt
Ausgewogene Darstellung ohne Vorverurteilung
Entscheidende Urteile zur Verdachtsberichterstattung
1. BGH, 20.06.2023 – VI ZR 262/21
Inhalt: Der BGH konkretisierte die Anforderungen an identifizierende Berichte über einen ausländischen Diplomaten, der in Schleuseraktivitäten verwickelt sein soll. Medien müssen konkrete Beweistatsachen vorweisen, die über bloße Verdachtsmomente hinausgehen.
2. BGH, 16.11.2021 – VI ZR 1241/20
Inhalt: Der BGH betonte die Pflicht zur vorherigen Stellungnahme des Betroffenen. Eine identifizierende Berichterstattung ohne Einholung einer Gegendarstellung verletzt das Persönlichkeitsrecht.
3. BGH, 31.05.2022 – VI ZR 95/21
Inhalt: Auch bei Ermittlungen des BND (nicht nur der Staatsanwaltschaft) gelten die Grundsätze der Verdachtsberichterstattung. Der BGH verwarf eine Berichterstattung wegen fehlender Ausgewogenheit und unzureichender Tatsachenbasis.
4. BGH, 16.02.2016 – VI ZR 367/15
Inhalt: Der BGH entschied, dass die bloße Einleitung eines Ermittlungsverfahrens keine ausreichende Grundlage für eine Verdachtsberichterstattung darstellt. Selbst bei Strafanzeigen muss ein Mindestmaß an Beweistatsachen vorliegen.
5. BGH, 18.11.2014 – VI ZR 76/14
Inhalt: Kein Richtigstellungsanspruch bei ursprünglich rechtmäßiger Berichterstattung. Medien müssen lediglich nachträglich über die Entkräftung des Verdachts informieren.
Praktische Konsequenzen für die Pressearbeit
Aspekt | Rechtliche Anforderung |
---|---|
Recherche | Konkrete Beweistatsachen über Ermittlungseröffnung hinaus erforderlich |
Stellungnahme | Vorherige Einholung einer Gegendarstellung obligatorisch |
Archivierung | Keine Löschungspflicht bei ursprünglich rechtmäßiger Berichterstattung |
Identifizierung | Nur zulässig bei hinreichendem öffentlichen Interesse und Faktenbasis |
Fazit
Die aktuellen Urteile zeigen: Die Pressefreiheit wird großzügig geschützt, doch steigen die Anforderungen an die Qualität der Recherche. Medien müssen insbesondere bei schweren Vorwürfen eine dokumentierte Tatsachengrundlage vorweisen und Betroffene stets in die Berichterstattung einbeziehen. Die verlinkten Entscheidungen bieten Journalisten und Rechtsanwälten eine detaillierte Orientierungshilfe.
Verdachtsberichterstattung und Anhörungspflicht
Laut einer aktuellen Pressemitteilung des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main (Az. 16 W 36/24), die auf dem Justizportal Hessen veröffentlicht wurde, ist eine konkrete Anhörung der betroffenen Person vor der Veröffentlichung zwingend erforderlich.
„Eine bloß allgemeine Anfrage reicht nicht aus.“ – OLG Frankfurt
Im vorliegenden Fall wurde ein Online-Medium zur Unterlassung verurteilt, weil es ohne ausreichend konkrete Nachfrage einen strafrechtlichen Verdacht öffentlich gemacht hatte. Die Richter betonten, dass eine faire Berichterstattung nur dann möglich ist, wenn dem oder der Betroffenen vorab genau mitgeteilt wird, worum es geht – samt Gelegenheit zur Stellungnahme.
Rechtliche Grundlagen
Die Pflicht zur Anhörung ergibt sich aus der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des Bundesverfassungsgerichts. Sie dient dem Ausgleich zwischen:
- Pressefreiheit (Art. 5 GG)
- Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG)
Wird die betroffene Person nicht angemessen einbezogen, drohen Unterlassungsklagen, Schadensersatzforderungen und persönlichkeitsrechtliche Gegendarstellungen.
Was bedeutet das für Medienschaffende?
Für Journalistinnen und Journalisten gilt:
- Verdacht ist nicht gleich Wahrheit.
- Eine Anhörung muss rechtzeitig, konkret und nachvollziehbar sein.
- Die Stellungnahme der betroffenen Person ist im Artikel fair zu berücksichtigen.
Andernfalls kann aus dem journalistischen Risiko schnell eine juristische Eskalation werden.
Fazit: Verantwortung durch Fairness
Verdachtsberichterstattung ist ein scharfes Schwert. Sie kann aufklären – aber auch Existenzen zerstören. Der hessische Fall zeigt eindrucksvoll, wie wichtig die konkrete Anhörung vor Veröffentlichung ist. Wer sauber arbeitet, schützt nicht nur sich selbst, sondern auch die Glaubwürdigkeit des gesamten Journalismus.