Soziale Netzwerke sind heutzutage einer der zentralen Orte des öffentlichen Meinungsaustausches. Daraus ergeben sich verschiedene rechtliche Fragestellungen, beispielsweise zur Löschung von Posts durch Netzwerkbetreiber: Unter welchen Voraussetzungen sind Social-Media-Plattformen zur Löschung von Nutzerbeiträgen berechtigt? Inwiefern müssen sie dabei die Grundrechte der Nutzer berücksichtigen? Welche Rechtsschutzmöglichkeiten stehen Betroffenen zu?
Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main musste am 14. November 2024 über die Löschung eines Nutzerbeitrages durch Facebook entscheiden (OLG Frankfurt, 14.11.2024, Az.: 16 U 52/23). Der Post enthielt Fehlinformationen über die Wirksamkeit und Sicherheit von Corona-Impfungen. Das Gericht urteilte, dass ein soziales Netzwerk zur Löschung eines Posts berechtigt sein kann, wenn dieser Fehlinformationen enthält und gegen die Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Betreibers verstößt. Vermerkt der Netzwerkbetreiber die Löschung von Posts oder die Sperrung eines Accounts, müssen diese Informationen nach einer bestimmten Zeit gelöscht werden.
Sachverhalt
Geklagt hatte ein Facebook-Nutzer gegen das soziale Netzwerk, da Facebook einen von ihm geposteten Beitrag gelöscht hatte. Der Kläger forderte von der Beklagten die Wiederfreischaltung des Posts und machte zusätzlich Ansprüche auf Datenberichtigung, Feststellung der Rechtswidrigkeit der Löschung des Beitrags und Unterlassung künftiger Löschungen sowie Schadensersatz geltend.
Der Kläger hatte den Beitrag am 16.9.2021 auf seinem Account gepostet. Inhaltlich ging es um die Wirksamkeit und Gefährlichkeit von Impfstoffen gegen das Covid-19-Virus. Die Beklagte hatte den Beitrag am selben Tag gelöscht und den Nutzer darüber informiert. Der Kläger legte erfolglos Widerspruch gegen die Löschung bei Facebook ein. Daher klagte er gegen das soziale Netzwerk.
Verfahrensverlauf
Entscheidung des LG Frankfurt am Main
Erstinstanzlich klagte der Facebook-Nutzer vor dem Landgericht Frankfurt am Main (LG Frankfurt, Urteil vom 26.1.2023, Az.: 2-03 O 71/22). Der Kläger beantragte einerseits die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Löschung des Posts vom 16.9.2021 und die Wiederfreischaltung des Posts und damit verbunden die Unterlassung einer erneuten Löschung sowie die Unterlassung der Sperrung seines Accounts ohne vorherige Information und Anhörung. Andererseits beantragte er die Berichtigung der Vermerke zu Löschungen und Sperrungen, die Facebook in einem Datensatz über den Nutzer sammelt und die Zurücksetzung des Zählers, der die Verstöße des Nutzers erfasst, die Nutzersperren zugrunde liegen. Schließlich forderte der Kläger Schadensersatz in Höhe von 50 Euro und die Freistellung von den eigenen Rechtsanwaltskosten im Zusammenhang mit dem Verfahren.
Das Landgericht hatte die Klage vollständig abgewiesen, weshalb der Kläger Berufung einlegte, um seine Anträge weiterzuverfolgen. Er gab an, dass die Löschungen und Sperrungen durch Facebook rechtswidrig seien, da die Allgemeinen Geschäftsbedingungen diesbezüglich nicht mit AGB-Recht vereinbar seien. Nach Ansicht des Klägers habe ein soziales Netzwerk kein „virtuelles Hausrecht“, es könne nicht nach eigenem Ermessen Nutzerbeiträge löschen und Accounts sperren. Außerdem müsse unverzüglich nach einer Beitragslöschung und bereits vor der Sperrung eines Accounts eine Anhörung des Betroffenen durchgeführt werden. Ansonsten seien diese Maßnahmen rechtswidrig. Bezüglich der Speicherung von Lösch- und Sperrvermerken durch Facebook stünde ihm ein Löschungsanspruch zu, da die Speicherung der Vermerke nicht mehr gerechtfertigt sei.
Die Beklagte beantragte, die Berufung zurückzuweisen. Die Speicherung der Lösch- und Sperrvermerke sei weiterhin erforderlich, da man ein berechtigtes Interesse daran habe, Verstöße von Nutzern zu dokumentieren, um sich in einem Prozess verteidigen zu können. Bezüglich der Wiederherstellung des Posts des Klägers gab die Beklagte an, dass der Post gegen das Verbot von Falschinformationen verstoßen habe und die Löschung daher rechtmäßig gewesen sei.
Entscheidung des OLG Frankfurt am Main
Das Oberlandesgericht entschied in Teilen zugunsten des Klägers. Der Antrag auf Berichtigung bzw. Löschung der von der Beklagten gesammelten Vermerke über Löschungen und Sperrungen war teilweise erfolgreich. Außerdem sprach das OLG dem Kläger den Ersatz eines Teils der vorgerichtlichen Anwaltskosten zu. Weitere Anträge, insbesondere der auf Wiederherstellung des gelöschten Posts, waren dagegen nicht erfolgreich.
Berichtigung der Lösch- und Sperrvermerke
Der Antrag auf Berichtigung bzw. Löschung der Lösch- und Sperrvermerke war nach dem OLG bezüglich vom Kläger konkret bezeichneter Vermerke zulässig. Der Anspruch auf Löschung der Vermerke ergibt sich aus Art. 17 Abs. 1 lit. a) DSGVO. Danach besteht ein Anspruch auf Löschung personenbezogener Daten, wenn die Daten für den Zweck, für den sie verarbeitet wurden, nicht mehr notwendig sind. Die Lösch- und Sperrvermerke stellen personenbezogene Daten dar. Sie werden von der Beklagten gespeichert, um Verstöße gegen die Nutzungsbedingungen zu dokumentieren und darauf weitere Maßnahmen stützen zu können. Die Verstöße sollen nach den Nutzungsbedingungen der Beklagten aber nach einem Jahr verfallen, also nicht mehr für eine Nutzersperrung berücksichtigt werden. Da dieser Zeitraum für die streitgegenständlichen Vermerke bereits abgelaufen war, war eine weitere Speicherung der Vermerke nicht mehr notwendig.
In Betracht kommt aber, dass personenbezogene Daten zwar nicht mehr zum ursprünglichen Zweck aber für einen neuen Zweck notwendig sind. Die Lösch- und Sperrvermerke können zur Geltendmachung, Ausübung oder Verteidigung von Rechtsansprüchen erforderlich sein, Art. 17 Abs. 3 lit. e) DSGVO. Solange wegen einer Löschung oder Sperrung Klagen erhoben werden können, hat die Beklagte ein berechtigtes Interesse an der Dokumentation der Vermerke. Das Interesse entfällt, wenn sich die Beklagte bei einer Klage auf die Verjährung berufen kann (§§ 195, 199 Abs. 1 BGB). Das OLG unterschied daher zwischen Vermerken, die vor 2021 dokumentiert wurden, und solchen, die erst ab 2021 erfolgten. Bei ersteren konnte sich die Beklagte bereits auf die Verjährung berufen, bei den Verstößen aus dem Jahr 2021 bestand weiterhin ein berechtigtes Interesse an der Speicherung.
Bezüglich der älteren Lösch- und Sperrvermerke stand dem Kläger daher ein Anspruch aus Art. 17 Abs. 1 lit. a) DSGVO zu, bezüglich der jüngeren Vermerke nicht. Ein Berichtigungsanspruch aus Art. 16 DSGVO kam für die Vermerke auch nicht in Betracht, da sie keine unrichtigen Daten darstellen.
Wiederfreischaltung des gelöschten Posts
Hinsichtlich der Wiederfreischaltung des am 16.9.2021 gelöschten Posts des Klägers kam ein vertraglicher Anspruch aus dem Nutzungsvertrag zwischen Facebook und dem Nutzer in Betracht. Dieser stehe dem Kläger aber nicht zu. Dabei bezog sich das OLG auf Urteile des BGH aus dem Jahr 2021 (BGH, Urteil vom 29.7.2021, Az.: III ZR 179/20; Urteil vom 29.7.2021, Az.: III ZR 192/20).
BGH-Rechtsprechung zur Löschung von Beiträgen und Sperrung von Nutzern
Der BGH entschied, dass private Unternehmen zwar nicht unmittelbar und staatsgleich an die Grundrechte gebunden sind. Die Grundrechte müssen im Verhältnis zwischen Privaten aber bei der Abwägung der sich gegenüberstehenden Interessen berücksichtigt werden. Sie müssen so in Ausgleich gebracht werden, dass die jeweiligen Grundrechtspositionen für beide Seiten möglichst weitgehend wirksam werden. Die AGB einer Social-Media-Plattform müssen deshalb so ausgestaltet sein, dass die sich gegenüberstehenden Grundrechtspositionen ausreichend berücksichtigt werden. Auf der Seite des Nutzers sind die Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG und der Schutz vor willkürlicher Ungleichbehandlung aus Art. 3 Abs. 1 GG zu berücksichtigen, auf der Seite des Betreibers die Berufsausübungsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 S. 1 GG und die Meinungsfreiheit. Dazu kommen Interessen anderer Nutzer der Plattform, die der Betreiber ebenfalls schützen muss, insbesondere das allgemeine Persönlichkeitsrecht. Der Betreiber hat schließlich das Interesse, nicht für Beiträge haften zu müssen. Die Abwägung der Interessen erfolgt bei AGB nach § 307 Abs. 1 BGB.
Für den BGH ergibt sich daraus, dass Betreiber sozialer Netzwerke grundsätzlich dazu berechtigt sind, in ihren AGB bestimmte Kommunikationsregeln vorzugeben. Diese dürfen strenger sein als strafrechtliche Vorgaben. Bei Verstößen gegen die Nutzungsregeln darf der Betreiber Posts entfernen oder Nutzer sperren. Der Betreiber muss aber die Interessen der betroffenen Nutzer berücksichtigen.
Der BGH leitet daraus mehrere Anforderungen ab:
- Die Löschung eines Beitrags und die Sperrung eines Nutzers setzt einen sachlichen Grund Insbesondere dürfen nicht willkürlich einzelne Meinungen untersagt werden.
- Der jeweilige Sachverhalt muss sorgfältig aufgeklärt werden. Dazu gehört die umgehende Information des betroffenen Nutzers über die Löschung eines Beitrags oder die beabsichtigte Nutzersperre sowie eine Anhörung und die Möglichkeit der Gegenäußerung für den Nutzer.
- Die Anhörung muss bei einer Nutzersperre vorab durchgeführt werden, bei der Entfernung eines Beitrags kann sie auch unverzüglich im Nachhinein erfolgen.
- Infolge der Aufklärung des Sachverhalts muss die Möglichkeit der Neubescheidung bestehen, die Äußerungen des Nutzers müssen also berücksichtigt werden.
Entsprechen die AGB einer Plattform nicht diesen Anforderungen, sind sie nach § 307 Abs. 1 BGB unwirksam. In den genannten BGH-Urteilen war das in AGB eingeräumte Recht zur Löschung eines Posts gemäß § 307 Abs. 1 BGB unangemessen, weil der Plattformbetreiber sich nicht dazu verpflichtete, den Nutzer umgehend über die Löschung zu informieren und anzuhören.
Entscheidung im vorliegenden Fall
Ob die Nutzungsbedingungen von Facebook eine Löschung des gegenständlichen Posts am 16.9.2021 erlaubten, entschied das OLG nicht. Facebook aktualisierte seine Nutzungsbedingungen im Jahr 2022. Diese entsprachen den obigen Vorgaben des BGH. Sie wurden auch Bestandteil des Nutzungsvertrags zwischen der Plattform und ihren Nutzern. In den Nutzungsbedingungen sowie den Gemeinschaftsstandards behielt sich Facebook das Recht vor, Falschmeldungen zu Impfstoffen zu löschen, wenn Gesundheitsbehörden oder -organisationen zu dem Schluss gekommen sind, dass die Informationen falsch sind und zu einer Impfverweigerung beitragen können.
Soziale Netzwerke dürfen ihren Nutzern objektive und überprüfbare Kommunikationsregeln vorgeben. Hier kam es auf das Verbot falscher oder ungesicherter Tatsachenbehauptungen über die fehlende Wirksamkeit und die Gefährlichkeit von Impfungen an. Zwar gebe es keine „Wahrheitspflicht“ bei Sachaussagen, die nicht andere Personen betreffen. Durch das Verbot nehme die Beklagte aber ein legitimes öffentliches Interesse wahr. Fehlinformationen, die dem Stand der Erkenntnis von Gesundheitsbehörden oder -organisationen widersprechen sind nach dem OLG dazu geeignet, Ängste gegen Impfstoffe zu bewirken. Daher könne die Beklagte solche Aussagen untersagen. Bei der gegenständlichen Aussage handele es sich auch nicht um eine politische Meinungsäußerung, sondern um eine dem Wahrheitsbeweis zugängliche Tatsachenäußerung. Auch habe der Kläger keine sachbezogene Kritik geäußert, die von der Meinungsfreiheit gedeckt wäre, sondern ohne sachliche Auseinandersetzung nicht beweisbare Aussagen getätigt.
Der Post konnte nach Ansicht des OLG Frankfurt und nach den aktualisierten Nutzungsbedingungen also gelöscht werden. Ein Anspruch auf die Wiederfreischaltung des Posts scheiterte an § 242 BGB. Danach kann eine Leistung nicht verlangt werden, die alsbald wieder zurückgewährt werden müsste. Selbst wenn der Post ursprünglich nicht hätte gelöscht werden dürfen, wäre die Löschung auf Grund der aktualisierten Bedingungen zulässig und die Wiederherstellung daher nicht erforderlich.
Dem Kläger stand auch kein Unterlassungsanspruch aus § 280 BGB gegenüber Facebook bezüglich der Löschung des streitgegenständlichen Posts zu, da die dazu erforderliche Wiederholungsgefahr nicht besteht. Im Falle einer rechtswidrigen Beitragslöschung kann ein solcher Anspruch zwar bestehen, hier war die Löschung aber nach den aktualisierten Nutzungsbedingungen rechtmäßig.
Dem Kläger stand auch kein Anspruch auf Schadensersatz zu, da ihm weder ein immaterieller noch ein materieller Schaden entstanden ist. Einen Teil seiner vorgerichtlichen Anwaltskosten kann er sich aber von der Beklagten ersetzen lassen, weil die Nutzungsbedingungen im Zeitpunkt der Löschung und Sperrung keine Anhörung vorsahen und diese Regelungen daher unwirksam waren.
Fazit
Die Entscheidung des OLG Frankfurt am Main konkretisiert die Rechtsprechung des BGH zur Löschung von Nutzerbeiträgen im Fall von Fehlinformationen und der Sperrung von Nutzern in sozialen Netzwerken. Soziale Netzwerke sind als private Akteure nicht unmittelbar an die Grundrechte gebunden. Sie müssen aber insbesondere die Meinungsfreiheit ihrer Nutzer ausreichend berücksichtigen und ihre Nutzungsbedingungen diesbezüglich angemessen ausgestalten. Fehlinformationen in Form von Sachaussagen dürfen grundsätzlich gelöscht werden. Eine ursprünglich rechtswidrige Löschung eines Posts kann dann keinen Anspruch auf Widerherstellung begründen, wenn die Löschung auf Grund aktualisierter Nutzungsbedingungen mittlerweile rechtmäßig wäre.