Das Recht auf Vergessenwerden (Art. 17 DSGVO) ermöglicht Betroffenen, die Löschung personenbezogener Daten zu verlangen – selbst wenn die ursprüngliche Verarbeitung rechtmäßig war. Diese Regelung steht im Spannungsfeld zwischen dem Schutz der Privatsphäre und der Informationsfreiheit. Der Bundesgerichtshof (BGH) präzisierte die Interessenabwägung in seiner Grundsatzentscheidung vom 27.07.2020 (Az. VI ZR 405/18) und setzte damit einen zentralen Präzedenzfall.
Zentrale Aussagen des BGH-Urteils 2020
- Interessenabwägung als Kern:
Ein Löschungsanspruch setzt voraus, dass das Schutzbedürfnis des Betroffenen (Art. 7 und 8 EU-Grundrechtecharta) die Informationsinteressen der Öffentlichkeit (Art. 11 EU-Grundrechtecharta) überwiegt. - Zeitfaktor:
Je länger eine Veröffentlichung zurückliegt, desto eher spricht dies für eine Löschung. Ausgenommen sind Berichte mit anhaltender öffentlicher Relevanz (z. B. historisch bedeutsame Ereignisse). - Stigmatisierungsrisiko:
Bei besonders stigmatisierenden Inhalten (z. B. entkriminalisierte Straftaten) kann eine Löschung auch ohne extrem langen Zeitablauf gerechtfertigt sein.
Bisherige Rechtsprechung und Leitlinien
- EuGH-Urteil Google Spain (C-131/12):
Der Europäische Gerichtshof entschied bereits 2014, dass Suchmaschinenbetreiber verpflichtet sind, Löschanträge zu prüfen, wenn personenbezogene Daten veraltet oder irrelevant sind. - EDPB-Stellungnahme 5/2021:
Die Europäische Datenschutzbehörde betont, dass Medien bei der Abwägung u. a. die Rolle des Betroffenen (Privatperson vs. öffentliche Figur) und den Kontext der Berichterstattung berücksichtigen müssen.
Praktische Handlungsempfehlungen
- Für Medienunternehmen:
- Dokumentieren Sie die Interessenabwägung bei redaktionellen Entscheidungen.
- Überprüfen Sie ältere Online-Artikel regelmäßig auf Aktualität und Relevanz.
- Für Betroffene:
- Legen Sie im Löschantrag konkrete Nachteile (z. B. berufliche Diskriminierung) detailliert dar.
- Prüfen Sie Alternativen zur Löschung (z. B. Anonymisierung oder redaktionelle Ergänzung).
Ausblick
Aktuell diskutiert die EU-Kommission, wie KI-basierte Löschanfragen im Rahmen des Rechts auf Vergessenwerden rechtssicher umgesetzt werden können. Zudem wird eine Harmonisierung der Archivierungsregeln für Medien auf EU-Ebene erwogen, um die Rechtsunsicherheit zu reduzieren.
Die aktuelle Rechtsprechung zeigt: Das Recht auf Vergessenwerden bleibt eine Einzelfallentscheidung, bei der die Betroffenenrechte gegen die Informationsfreiheit abgewogen werden müssen.
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