BGH zum Zeitpunkt des Zugangs einer Willenserklärung per E-Mail

Willenserklärung unter Abwesenden per Mail

Der Bundesgerichthof hat in einem aktuellen Urteil (BGH, Urteil vom 06.10.2022, Az.: VII ZR 895/21) zu der Frage entschieden, wann eine Willenserklärung dem Empfänger zu geht, die per E-Mail auf den Weg gebracht worden ist.

Erklärungen des Willens unter Abwesenden erfordern den Zugang der Erklärung beim Adressat für die Wirksamkeit. Das ist grundlegendes juristisches Wissen und im Allgemeinen Teil des BGB geregelt, § 130 BGB. Die Regelung des § 130 BGB gilt bereits seit mehr als 100 Jahren. Aus der technischen Entwicklung ergibt sich aber neuer Klärungsbedarf.

Dem Fall, den der Bundesgerichtshof entschieden hat ging ein Sachverhalt aus dem privaten Baurecht voraus. Ein Bauunternehmern wurde beauftragt, es wurde Rechnung gestellt, von den Rechnungen wurden Abzüge gemacht. Die Anwälte des Klägers forderten in einer E-Mail einen Schlussbetrag von 14.347,23 € und mussten dann eine halbe Stunde später einräumen, dass der Schlussbetrag noch nicht geprüft sei und es daher sein könne, dass weitere Forderungen erhoben werden. Die Schlussrechnung lag dann fast 8.000 € über dem zuvor in Aussicht gestellten Schlussbetrag. Die Beklagte überwies dann die 14.347,23 €.

Fraglich war, ob zwischen den Parteien ein Vergleich im Sinne von § 779 BGB zu Stande gekommen ist. Eine Willenserklärung wird wirksam, wenn sie dem Empfänger zugeht. Wwenn dem anderen zuvor oder gleichzeitig der Widerruf der Willenserklärung zugeht, wird die Erklärung nicht wirksam, § 130 Abs.1 S.2 BGB. Diese Bestimmung ist aber nach den Feststellungen des BGH hier nicht anwendbar. Die zweite Mail war erst eine halbe Stunde nach dem Angebot in der ersten Mail beim Beklagten eingegangen. Der Widerruf scheiterte, denn er war weder vor dem Angebot noch gleichzeitig mit dem Angebot eingegangen. Der Kläger war an das Angebot von 9:19 Uhr gebunden, § 145 BGB.

Eine E-Mail geht dem Empfänger unmittelbar in dem Zeitpunkt zu, in dem sie abrufbereit in seinem elektronischen Postfach eingegangen ist.

Der Kläger musste sich also an dem Vergleichsangebot festhalten lassen, dass seine Anwälte unterbreitet hatten. Die fast 8.000 € aus der Schlussrechnung sind verloren.

Willenserklärung im deutschen Zivilrecht

Die Willenserklärung ist ein zentrales Element des deutschen Zivilrechts und bildet die Grundlage für das Zustandekommen von Rechtsgeschäften. Sie stellt die Äußerung eines auf die Herbeiführung einer bestimmten Rechtsfolge gerichteten Willens dar.

Wirksamkeit und Zugang einer Willenserklärung

Für die Wirksamkeit einer Willenserklärung ist entscheidend, dass sie dem Empfänger zugeht. Dies regelt § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB:

„Eine Willenserklärung, die einem anderen gegenüber abzugeben ist, wird, wenn sie in dessen Abwesenheit abgegeben wird, in dem Zeitpunkt wirksam, in welchem sie ihm zugeht.“

Der Zugang ist erfolgt, sobald die Erklärung derart in den Machtbereich des Empfängers gelangt ist, dass unter normalen Umständen mit deren Kenntnisnahme zu rechnen ist.

Besonderheiten bei der Übermittlung per E-Mail

Im digitalen Geschäftsverkehr stellt sich die Frage, wann eine per E-Mail übermittelte Willenserklärung als zugegangen gilt. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat hierzu in seinem Urteil vom 06.10.2022 (Az.: VII ZR 895/21) entschieden:

Eine E-Mail geht dem Empfänger unmittelbar in dem Zeitpunkt zu, in dem sie abrufbereit in seinem elektronischen Postfach eingegangen ist.

Damit gilt die Willenserklärung bereits als zugegangen, wenn die E-Mail auf dem Server des Empfängers gespeichert und abrufbar ist – unabhängig davon, ob der Empfänger sie tatsächlich liest.

Widerruf einer Willenserklärung

Ein wirksamer Widerruf einer Willenserklärung muss gemäß § 130 Abs. 1 Satz 2 BGB dem Empfänger vor oder zumindest gleichzeitig mit der ursprünglichen Erklärung zugehen:

„Dies gilt nicht, wenn dem anderen vorher oder gleichzeitig ein Widerruf zugeht.“

Das bedeutet, dass eine bereits zugegangene Willenserklärung nicht mehr einseitig widerrufen werden kann, es sei denn, der Widerruf erfolgte vor oder gleichzeitig mit dem Zugang der ersten Erklärung.

Bedeutung für die Praxis

Das Urteil des BGH (Az.: VII ZR 895/21) verdeutlicht, dass E-Mails als Kommunikationsmittel im Rechtsverkehr eine hohe Verbindlichkeit haben. Gerade im geschäftlichen Bereich ist es daher wichtig, den genauen Zeitpunkt des Versands und Zugangs von Erklärungen zu beachten. Ein unbedachter Widerruf kann erhebliche rechtliche und finanzielle Folgen haben, wenn dieser nicht rechtzeitig erfolgt.

Weitere rechtliche Grundlagen zur Willenserklärung

Zusätzlich zu § 130 BGB sind auch weitere Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) für die Willenserklärung relevant, insbesondere:

  • § 145 BGB – Bindung an den Antrag
  • § 147 BGB – Annahmefrist von Willenserklärungen
  • § 779 BGB – Vergleichsverträge und deren Bindungswirkung

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Das BGH-Urteil zeigt: Unbedachte E-Mails können zu massiven finanziellen Verlusten führen – wie im entschiedenen Fall 8.000 €.

Schlüssellehren aus dem Urteil:
  • Eingangsbestätigungen gelten ab Versand (9:19 Uhr im Fall)
  • Widerrufsfrist: max. 30 Minuten bei digitaler Kommunikation
  • Formulierungsfallen bei Vergleichsangeboten

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