Unlizenzierte Musik: Wie Gerichte Schadensersatz berechnen und die Rolle der DMV-Erfahrungsregeln

Dokument mit Titel "Erfahrungsregeln DMV" liegt auf einem Tisch und wird beleuchtet, Symbol für die juristische Prüfung von Schadensersatz bei Musik-Abmahnungen.

Fragen zum Thema? Kostenlose Erstberatung unter 06151-2768227, anfrage@kanzlei-kramarz.de oder Kontakt.

Die aktuelle Welle an Abmahnungen wegen unlizenzierter Musiknutzung in sozialen Netzwerken verunsichert viele Unternehmen und Kreative. Kanzleien wie IPPC Law, die beispielsweise für die B1 Recordings GmbH tätig werden, oder die Mathe Law Firm, die unter anderem für die ROBA Music Verlag GmbH oder Essex Musikvertrieb GmbH agiert, fordern oft hohe Summen als Schadensersatz. Ein zentraler Punkt in diesen Forderungen ist häufig die Berechnung der sogenannten fiktiven Lizenzgebühr. Dabei wird oft auf die „Erfahrungsregeln für die Einräumung von Musiknutzungsrechten“ des Deutschen Musikverleger-Verbandes e.V. (DMV) Bezug genommen.

Doch wie verbindlich sind diese Regeln? Ein Blick auf die Rechtsprechung, insbesondere auf ein Urteil des Landgerichts Köln, gibt Aufschluss darüber, wie Gerichte mit diesen Tabellen umgehen und welche Argumente es gegen eine pauschale Anwendung gibt.

Die Lizenzanalogie: Was wäre eine faire Gebühr gewesen?

Wird ein urheberrechtlich geschütztes Werk wie ein Musiktitel ohne Erlaubnis genutzt, hat der Rechteinhaber einen Anspruch auf Schadensersatz. Eine gängige Methode zur Berechnung dieses Schadens ist die Lizenzanalogie. Dabei wird die Frage gestellt: Was hätten vernünftige Vertragspartner als Lizenzgebühr vereinbart, wenn sie vor der Nutzung einen ordnungsgemäßen Vertrag geschlossen hätten?

Da es in solchen Fällen selten einen konkreten, vergleichbaren Vertrag gibt, suchen Gerichte nach objektiven Anhaltspunkten. Hier kommen die Erfahrungsregeln des DMV ins Spiel.

LG Köln: Wie Gerichte die DMV-Regeln anwenden (Urteil 28 O 128/08)

In einem aufschlussreichen Fall vor dem Landgericht Köln ging es um die unlizenzierte Nutzung eines Jingles auf drei verschiedenen Webseiten eines Unternehmens. Die Klägerin forderte Schadensersatz und stützte ihre Berechnung auf die DMV-Erfahrungsregeln, die damals eine fiktive Lizenzgebühr von 125 € pro Monat und Webseite vorsahen.

Das Gericht nutzte diese Regeln tatsächlich als Ausgangspunkt für seine Schätzung, wandte sie aber nicht stur an. Stattdessen nahm es eine differenzierte Bewertung vor und berücksichtigte die besonderen Umstände des Einzelfalls:

  • Art des Werkes: Das Gericht stellte fest, dass es sich bei dem Jingle um eine sehr kurze, einfache Tonfolge handelte, die sich „am äußersten Rand der Schutzfähigkeit“ bewegt. Ein vollwertiges, komplexes Musikwerk hätte anders bewertet werden können.
  • Art der Nutzung: Die Internetnutzung wurde als eine der TV-Werbung untergeordnete „Annexnutzung“ betrachtet. Hätten die Parteien verhandelt, wäre die Online-Nutzung vermutlich durch einen pauschalen Aufschlag und nicht als separate, hochpreisige Lizenz abgegolten worden.
  • Umfang der Nutzung: Obwohl der Jingle auf drei Domains (.de, .at, .com) genutzt wurde, verdreifachte das Gericht die Lizenzgebühr nicht. Es berücksichtigte, dass die Domains auf die jeweilige Landesseite weiterleiteten und die Parteien vernünftigerweise einen Gesamtpreis für den deutschsprachigen Raum vereinbart hätten.

Im Ergebnis hielt das Gericht einen Aufschlag von 50 % auf die Grundlizenz für angemessen, anstatt den Betrag zu verdreifachen. Dies zeigt eindrücklich: Die DMV-Regeln sind für Gerichte eine Schätzungsgrundlage, aber kein unumstößliches Gesetz.

Angriffspunkte: Die Kritik des BGH an pauschalen Tarifen

Die richterliche Zurückhaltung bei der Anwendung solcher Tabellen wird durch eine wichtige Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) untermauert. Im Urteil I ZR 187/17 befasste sich der BGH zwar mit den MFM-Tabellen für Fotografien, die Argumentation lässt sich aber direkt auf die DMV-Regeln für Musik übertragen.

Der BGH stellte klar, dass einseitig von einer Interessenvertretung (wie dem DMV für die Musikverleger oder der MFM für Fotografen) erstellte Tabellen nicht automatisch als „branchenüblich“ gelten. Ob sie als Maßstab herangezogen werden können, hängt davon ab, ob sie in der Praxis tatsächlich von beiden Seiten – also Anbietern und Nutzern – für die Lizenzierung von Werken der betreffenden Art akzeptiert und verwendet werden.

Gerade bei der Nutzung von Musik durch Laien oder für nicht-professionelle Social-Media-Posts ist es fraglich, ob die Tarife des DMV, die oft auf kommerzielle Werbeproduktionen abzielen, eine realistische Verhandlungsbasis darstellen.

Was bedeutet das für Ihre Abmahnung?

Wenn Sie eine Abmahnung wegen unlizenzierter Musiknutzung erhalten haben, ist die darin enthaltene Schadensersatzforderung nicht in Stein gemeißelt. Die Verweise auf die DMV-Erfahrungsregeln sind ein wichtiger Anhaltspunkt, aber auch ein potenzieller Angriffspunkt für die Verteidigung.

Folgende Aspekte sind bei der Bewertung der Forderung entscheidend:

  1. Die Art des Musikstücks: Handelt es sich um einen weltbekannten Hit oder um generische Hintergrundmusik?
  2. Der Umfang Ihrer Nutzung: Wurde die Musik in einem viralen Werbevideo oder in einem kurzen, organischen Instagram-Post verwendet?
  3. Ihr Status: Handeln Sie als großes Unternehmen oder als kleiner Soloselbstständiger?

 

Diese und weitere Faktoren müssen berücksichtigt werden, um eine angemessene und realistische Lizenzgebühr zu ermitteln. Die pauschalen Forderungen in den Abmahnschreiben können und sollten kritisch hinterfragt werden.

Sollten Sie von einer Abmahnung betroffen sein, ist es ratsam, nicht vorschnell die geforderten Summen zu zahlen. Die Kanzlei Kramarz verfügt über umfassende Erfahrung im Urheber- und Medienrecht und kann die Forderungen für Sie prüfen und eine effektive Verteidigungsstrategie entwickeln. Nutzen Sie unsere kostenlose telefonische Erstberatung, um Ihre Situation zu besprechen. Sie erreichen uns unter kanzlei-kramarz.de/kontakt, per E-Mail an anfrage@kanzlei-kramarz.de oder telefonisch unter 06151-2768227.

Was sind die "Erfahrungsregeln des DMV"?

Die Erfahrungsregeln des Deutschen Musikverleger-Verbandes (DMV) sind eine Art Tarifübersicht, die als Orientierung für die Höhe von Lizenzgebühren für verschiedene Arten der Musiknutzung dienen soll. Sie werden von Rechteinhabern oft als Grundlage für Schadensersatzforderungen bei Urheberrechtsverletzungen herangezogen.

Sind diese DMV-Regeln für Gerichte bindend?

Nein, sie sind nicht bindend. Gerichte können sie als Anhaltspunkt für eine Schätzung im Rahmen der Lizenzanalogie verwenden, müssen es aber nicht. Der BGH hat klargestellt, dass solche einseitig erstellten Tabellen nicht automatisch als "branchenüblich" gelten. Das Gericht muss immer alle Umstände des Einzelfalls würdigen. Für eine fachkundige Einschätzung kontaktieren Sie die Kanzlei Kramarz.

Was bedeutet "Lizenzanalogie" bei einer Musik-Abmahnung?

Die Lizenzanalogie ist eine Methode zur Berechnung von Schadensersatz. Es wird ermittelt, welche Lizenzgebühr der Verletzer vernünftigerweise hätte zahlen müssen, wenn er vor der Nutzung eine Erlaubnis eingeholt hätte. Die Höhe ist eine Schätzung, die von vielen Faktoren abhängt. Eine kostenlose telefonische Erstberatung erhalten Sie bei der Kanzlei Kramarz (Tel: 06151-2768227).

Meine Abmahnung fordert eine hohe Summe basierend auf den DMV-Regeln. Was kann ich tun?

Zahlen Sie nicht vorschnell. Die Forderung ist verhandelbar. Ein spezialisierter Rechtsanwalt kann prüfen, ob die Anwendung der DMV-Regeln in Ihrem Fall überhaupt angemessen ist und welche Argumente für eine Reduzierung der Summe sprechen. Wir beraten Sie gerne zu Ihren Optionen: anfrage@kanzlei-kramarz.de.

Haben Sie Fragen? Melden Sie sich gerne über unsere Kontaktseite.

Wichtige Informationen zu Ihren Rechten: Sie haben eine Abmahnung im Wettbewerbsrecht erhalten? Oder betrifft Ihre Frage eine Abmahnung im Urheberrecht oder eine Abmahnung im Markenrecht? Informationen speziell zum Thema Abmahnung von Frommer Legal finden Sie ebenfalls bei uns.

Sie suchen einen kompetenten Rechtsanwalt für UrheberrechtMedienrecht oder Softwarerecht? Wir beraten Sie umfassend auch in Fragen zum MarkenrechtWettbewerbsrechtDatenschutzrecht und bei Bilderklau.

Benötigen Sie rechtssichere AGB und möchten diese erstellen lassen? Kontaktieren Sie uns!