Schon kurz nach Erscheinen der Pressemitteilung zum "App-Zentrum III"-Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) hatte ich hier im Blog darüber berichtet. Nun liegt das vollständige Urteil vor und bestätigt die weitreichende Bedeutung dieser Entscheidung – insbesondere für die Frage: Können Wettbewerber Verstöße gegen DSGVO-Informationspflichten jetzt leichter als unlauteren Wettbewerb abmahnen? Die Antwort darauf dürfte viele Unternehmen aufhorchen lassen.
Das aktuelle Urteil:
BGH, Urteil vom 27.03.2025 – I ZR 186/17 – App-Zentrum III
(Zur Pressemitteilung des BGH: BGH PM Nr. 59/2025)
Auch wenn der direkte Kläger im Fall der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) war, sind die Feststellungen des BGH zur Einordnung von DSGVO-Verstößen für den Geschäftsverkehr insgesamt relevant.
Worum ging es im Fall "App-Zentrum III" ursprünglich?
Der Fall reicht bis ins Jahr 2012 zurück. Der vzbv hatte Facebook (heute Meta Platforms Ireland) wegen der Gestaltung seines damaligen "App-Zentrums" verklagt. Dort wurden Nutzerinnen und Nutzern kostenlose Spiele von Drittanbietern angeboten. Der vzbv kritisierte, dass die Hinweise unter dem Button "Sofort spielen" nicht ausreichend darüber informierten, welche Daten an die Spieleanbieter weitergegeben und wofür sie genutzt werden sollten. Damit sah der vzbv die gesetzlichen Anforderungen an eine wirksame datenschutzrechtliche Einwilligung als verletzt an.
Das Verfahren durchlief alle Instanzen und führte zu zwei Vorlagen an den Europäischen Gerichtshof (EuGH). Diese befassten sich primär mit der Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen Verbraucherschutzverbände nach Inkrafttreten der DSGVO überhaupt berechtigt sind, solche Datenschutzverstöße gerichtlich geltend zu machen (Stichwort: DSGVO Verbandsklage nach Art. 80 Abs. 2 DSGVO). Der EuGH bejahte dies für Verbraucherverbände unter bestimmten Voraussetzungen.
Die Kernaussage des BGH – Und warum sie für Wettbewerber entscheidend ist
Der BGH folgt in seiner finalen Entscheidung den Vorgaben des EuGH bezüglich der Klagebefugnis von Verbraucherverbänden. Wirklich brisant für den Wettbewerb ist jedoch eine andere Feststellung des Gerichts:
Der BGH stellt klar, dass ein Verstoß gegen die Informationspflichten der DSGVO (konkret Art. 12 und 13 DSGVO) zugleich einen Verstoß gegen § 5a Absatz 1 des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) darstellt.
§ 5a UWG - Irreführung durch Unterlassen: Unlauter handelt, wer dem Verbraucher oder sonstigen Marktteilnehmer eine Information vorenthält, die im konkreten Fall unter Berücksichtigung aller Umstände wesentlich ist und deren Vorenthalten geeignet ist, den Verbraucher oder sonstigen Marktteilnehmer zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte.
Der BGH argumentiert (siehe Leitsatz 3), dass gerade bei internetbasierten Geschäftsmodellen, bei denen Nutzer oft mit ihren Daten "bezahlen", die Informationen über Zweck und Umfang der Datenverarbeitung (wie in Art. 12, 13 DSGVO gefordert) von zentraler Bedeutung sind. Nur so können Nutzer eine informierte Entscheidung treffen. Fehlen diese wesentlichen Informationen, liegt ein Wettbewerbsverstoß nach § 5a UWG vor. Solche Informationspflichten DSGVO sind also klare Marktverhaltensregeln.
Warum ist das für Wettbewerber relevant?
Ganz einfach: Nach § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG sind Mitbewerber berechtigt, Verstöße gegen das UWG – wie eben einen Verstoß gegen § 5a UWG – im Wege der Abmahnung und Klage zu verfolgen. Indem der BGH den Verstoß gegen DSGVO-Informationspflichten klar als § 5a UWG-Verstoß einstuft, bestätigt er indirekt, aber deutlich die Möglichkeit für eine DSGVO Abmahnung durch Wettbewerber.
Wichtig dabei: Für diese Klagebefugnis nach dem UWG muss der Wettbewerber nicht selbst als Person von der Datenschutzverletzung betroffen sein (also kein "Datensubjekt" im Sinne der DSGVO sein, dessen Rechte verletzt wurden). Es genügt das Bestehen eines Wettbewerbsverhältnisses und die Tatsache, dass der Verstoß den fairen Wettbewerb beeinträchtigen kann. Die Klagebefugnis ergibt sich hier aus der Störung des Marktes, nicht aus einer individuellen Rechtsverletzung des Klägers.
Die lange umstrittene Frage, ob DSGVO-Verstöße über das UWG von Konkurrenten angegriffen werden können, dürfte damit zumindest für den Bereich der Informationspflichten weitgehend geklärt sein.
Abgrenzung zur Verbandsklage (Art. 80 DSGVO)
Wichtig ist zu verstehen: Das Urteil betrifft auch die spezielle Klagebefugnis von Verbänden nach Art. 80 Abs. 2 DSGVO. Dieser Weg steht aber primär bestimmten Organisationen offen und ist stärker an die Verletzung von Rechten Betroffener geknüpft. Der Weg für Wettbewerber führt über die "normale" Anwendung des UWG, nun gestärkt durch die Einordnung des DSGVO-Verstoßes als relevanten UWG-Verstoß durch den BGH.
Was bedeutet das Urteil für Ihr Unternehmen?
Die Entscheidung erhöht das Risiko für Unternehmen, nicht nur von Datenschutzbehörden oder Betroffenen, sondern auch von Wettbewerbern wegen mangelhafter Umsetzung der DSGVO-Informationspflichten belangt zu werden. Dies betrifft insbesondere:
- Datenschutzerklärungen auf Webseiten und in Apps
- Informationen im Rahmen von Cookie-Consent-Tools
- Einwilligungstexte zur Datennutzung (z.B. für Newsletter, Tracking)
Wer hier schludert, verschafft sich möglicherweise einen unlauteren Wettbewerbsvorteil – den Konkurrenten nun gestärkt durch das BGH App-Zentrum III Urteil angreifen können. Umgekehrt gilt: Solide DSGVO-Compliance schützt nicht nur vor Bußgeldern und Klagen Betroffener, sondern auch vor UWG DSGVO-Abmahnungen durch Mitbewerber.
Handlungsempfehlung: Prüfen Sie Ihre DSGVO-Compliance!
Angesichts dieser Rechtsprechung ist es für jedes Unternehmen dringend ratsam:
- Überprüfen Sie Ihre Datenschutzerklärung: Ist sie vollständig, transparent, verständlich und leicht zugänglich? Werden alle Zwecke, Rechtsgrundlagen und Empfänger von Daten klar benannt (Anforderungen aus Art. 13, 14 DSGVO)?
- Checken Sie Ihre Einwilligungsprozesse: Sind die Informationen nach Art. 12, 13 DSGVO korrekt eingebunden, bevor eine Einwilligung (z.B. über Cookie-Banner) eingeholt wird?
- Holen Sie bei Unsicherheiten fachlichen Rat ein: Als Fachanwalt für IT-Recht sowie Urheber- und Medienrecht unterstütze ich Sie gerne bei der Prüfung und Optimierung Ihrer DSGVO-Compliance.
Kostenlose telefonische Erstberatung
Haben Sie Fragen zu diesem Urteil, zur Umsetzung der DSGVO-Informationspflichten oder haben Sie vielleicht sogar eine Abmahnung erhalten? Nutzen Sie meine kostenlose telefonische Erstberatung, um eine erste Einschätzung Ihrer Situation zu erhalten. Kontaktieren Sie mich gerne über meine Webseite www.kanzlei-kramarz.de oder telefonisch.
FAQ - Häufig gestellte Fragen zum BGH-Urteil "App-Zentrum III" und DSGVO-Abmahnungen
Muss ein Wettbewerber selbst von dem DSGVO-Verstoß betroffen sein, um abmahnen zu dürfen?
Nein. Wenn ein Wettbewerber eine Abmahnung auf § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG in Verbindung mit § 5a UWG stützt (weil DSGVO-Informationspflichten verletzt wurden), muss er nicht selbst als betroffene Person im Sinne der DSGVO individuell in seinen Rechten verletzt sein. Seine Klagebefugnis ergibt sich aus dem Wettbewerbsverhältnis und der Tatsache, dass der Verstoß den fairen Wettbewerb stört. Dies unterscheidet sich von den direkten Rechten Betroffener nach der DSGVO.
Können Wettbewerber jetzt jeden DSGVO-Verstoß abmahnen?
Das Urteil bezieht sich konkret auf Verstöße gegen die Informationspflichten nach Art. 12 und 13 DSGVO, die der BGH als Verstoß gegen § 5a UWG wertet. Ob auch andere DSGVO-Verstöße (z.B. rein technische Sicherheitsmängel ohne Außenwirkung) über das UWG abmahnfähig sind, bleibt abzuwarten und hängt davon ab, ob sie als unlautere Wettbewerbshandlung eingestuft werden können. Die Hürden dürften hier höher liegen.
Was genau besagt § 5a UWG im Zusammenhang mit der DSGVO?
§ 5a UWG verbietet die Irreführung durch das Vorenthalten wesentlicher Informationen. Der BGH sagt nun: Die nach Art. 12/13 DSGVO vorgeschriebenen Informationen über die Datenverarbeitung sind für Verbraucher wesentlich, um eine informierte Entscheidung treffen zu können (oft "zahlen" sie mit Daten). Werden diese Informationen vorenthalten oder sind sie mangelhaft, ist das ein Wettbewerbsverstoß nach § 5a UWG DSGVO.
Welche Informationspflichten nach Art. 12/13 DSGVO sind besonders kritisch?
Besonders wichtig sind klare und vollständige Angaben zu: den Zwecken der Datenverarbeitung, den Rechtsgrundlagen, den Empfängern oder Kategorien von Empfängern der Daten (auch Drittländer!), der Speicherdauer und den Betroffenenrechten (Auskunft, Löschung etc.). Mangelnde Transparenz ist hier ein häufiger Angriffspunkt.
Ist das Urteil "App-Zentrum III" schon rechtskräftig?
Ja, da es sich um ein Urteil des Bundesgerichtshofs handelt, ist die Entscheidung in dieser Instanz endgültig und damit rechtskräftig.
Was sollte ich tun, wenn ich eine DSGVO-Abmahnung von einem Wettbewerber erhalte?
Bewahren Sie Ruhe, aber ignorieren Sie die Abmahnung nicht! Unterschreiben Sie auf keinen Fall vorschnell die beigefügte Unterlassungserklärung. Prüfen Sie (oder lassen Sie prüfen), ob der Vorwurf berechtigt ist und ob die Abmahnung formell korrekt ist. Holen Sie umgehend fachanwaltlichen Rat ein, um die beste Strategie zu entwickeln (z.B. Abgabe einer modifizierten Unterlassungserklärung, Zurückweisung).
War nicht Meta/Facebook der Beklagte? Warum betrifft das auch andere Unternehmen?
Ja, Beklagte war Meta. Aber Gerichtsentscheidungen, insbesondere vom BGH, haben oft über den Einzelfall hinaus Bedeutung. Die rechtliche Einordnung, dass ein Verstoß gegen DSGVO-Informationspflichten ein Wettbewerbsverstoß nach § 5a UWG ist, gilt generell und nicht nur für Meta. Daher sind alle Unternehmen betroffen, die Daten verarbeiten und den Informationspflichten DSGVO unterliegen.