Als Darmstädter ist das Schlossgrabenfest seit der Adoleszenz mein Begleiter. Das Schlossgrabenfest ist eine tolle Sache. Es ging mal los mit Bands aus der Region ohne Eintritt und ohne Kontrollen. Dazu gibt es Stände mit Essen und Trinken und Cocktails werden angeboten. Irgendwann haben sich anscheinend große Teile des Publikums an den Scherben der hinterlassenen Bierflaschen reihenweise die Füße aufgeschlitzt. Die Konsequenz war die Einzäunung des Geländes, ein Glasverbot und die Geburt des legendären Schlossgrabenbechers. Der ist aus Plastik und damit ein Begleiter für die Ewigkeit. Den musste man kaufen und dann durfte man den Abend über mit seinem Becher – stets konsumbereit – über das Fest flanieren. Sooo gemütlich war es dann nicht mehr, denn die Einzäunung erzeugt natürlich auch das Gefühl von Enge für die Besucher. Aber das Schlossgrabenfest war gerettet und seitdem sind große Teile der Darmstädter Innenstadt zu Zeiten des Schlossgrabenfests eben abgesperrt.
Über die Jahre veränderte sich auch das Programm. Störend waren bei dem Fest nur noch die jungen Leute. Die trafen sich einfach im Herrngarten und tranken ihr mitgebrachtes Bier. Dieser Umstand, in Kombination mit dem Zwangsbecher, führte dann zu Auseinandersetzungen im Herrngarten und auf der Frankfurter Straße, bei denen Steine flogen und schließlich ein Hubschrauber über dem Schauplatz des Geschehens seine Kreise drehte. Aber das Schlossgrabenfest lässt sich von solchen Vorfällen nicht entmutigen.
Herrngarten und Schlossgrabenfest
Jetzt wird der Herrngarten einfach – als Vorfeld des Schlossgrabenfests – auch abgesperrt. Inklusive des einzigen Spielplatzes in Innenstadtnähe. Glasverbot im Herrngarten. Videoüberwachung, Scheinwerfer und Zutrittskontrollen sind nun zu Zeiten des Fests im Einsatz um zu verhindern, dass Jugendliche und sozial Schwache sich einfach außerhalb besaufen um dann zu feiern.
Wer schlicht passieren möchte hat selbstverständlich auch zu Zeiten des Schlossgrabenfests Zutritt zum Herrngarten. Vorausgesetzt er führt keine Glasflasche bei sich. Wer dann später am Abend durch den Herrngarten lustwandelt findet an jeder Hecke einen Wildpinkler.
Wir sind Welterbe!
Das sog. „Wild pinkeln“ ist übrigens in Darmstadt eine Ordnungswidrigkeit und kostet als sog. „Verrichtung der Notdurft außerhalb von Toilettenanlagen“ 50 €. Wenn die Polizei schon mit geballten Kräften für Ordnung sorgt könnte doch gegen diese Ordnungswidrigkeit auch mal vorgegangen werden? Vielleicht werden dann beim Schlossgrabenfest auch mal ausreichend Toiletten zur Verfügung gestellt.
Die Vorzüge des Wildpinkelns genießen nur Herren. Damen haben beispielsweise die Möglichkeit sich im Welcome Hotel zu erleichtern. Preis dafür im Jahr 2022: 6 €!.
Das Welcome Hotel ist Sponsor des Schlossgrabenfests, wie man der Internetseite entnehmen kann. Man mag sich nicht vorstellen wie teuer der Toilettengang ohne dieses Sponsoring wäre!
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Eintritt beim Schlossgrabenfest
Nachdem das Problemfeld Herrngarten endlich im Griff war folgte Corona und damit eine Pause für das Schlossgrabenfest. Nun – nach Corona – konnte natürlich auch in Punkto Schlossgrabenfest kein Stein auf dem anderen bleiben. Es musste sich was ändern. Jetzt gibt es einen Eintritt. Logisch, Kontaktnachverfolgung, Kapazitätsbegrenzung, Kontrollen. Das kostet alles Geld! Der Vorverkauf ging schon vor Weihnachten 2021 los und die Veranstalter sahen keinen anderen Weg mehr um das Schlossgrabenfest wirtschaftlich zu betreiben. 37,50 € für Drei-Tage, das ist doch geschenkt! Na ja, die Kontaktnachverfolgung fiel dann weg und so unangenehm ist eine Einnahmequelle mehr nun auch nicht.
Das Schlossgrabenfest wurde über die Jahre immer mehr zum Freiluft-Konsum-Tempel. Dieses Jahr waren die leuchtenden Werbebanner aus der Darmstädter Innenstadt beim Schlossgrabenfest erstmals von der ISS aus zu erkennen! *Ironie*
Vielleicht handelt es sich auch um eine geschickte Protestveranstaltung gegen den motorisierten Individualverkehr? Auf dem Fest präsentieren Autohäuser die neusten Fahrzeuge zum Kauf, während rund um die Innenstadt kein Fahrzeug mehr vorwärts kommt, weil ja die Auto-Werbeveranstaltung namens Schlossgrabenfest auf dem City-Ring stattfindet. Genial!
Schlossgrabenfest: Sicher und glücklich – Öffentlich gegen Eintritt
Im Darmstädter Echo vom 11.06.2022 lässt sich der Oberbürgermeister Jochen Partsch (Grüne) mit den Worten zitieren: „Ja, es ist öffentlicher Raum, aber der war öffentlich gegen Eintritt zugänglich, und es haben sich 100.000 Menschen glücklich und sicher gefühlt.“ Vielleicht sollte das Konzept der kostenpflichtigen städtischen Fläche ausgeweitet werden, schließlich soll jeder die Möglichkeit haben sich „glücklich und sicher“ zu fühlen? Die Stadtprominenz ist bei dem Fest übrigens regelmäßig auf dem Balkon des Staatsarchivs zu finden. Da oben über den feiernden Massen stellt sich sicher schnell das Gefühl von „Glück und Sicherheit“ ein.
Auch die Kommentatorin Birgit Fempel sekundiert mit Ihrem Kommentar zum Thema „Öffentlich“. Es gibt kein Recht auf ein kostenloses Schlossgrabenfest, so die Kommentatorin. Da die Fläche öffentlich sei, gehöre die Fläche eben auch denjenigen, die die Fläche für eine bestimmte Zeit privatwirtschaftlich nutzen wollen. Die dann herangezogenen Beispiele wie das DaCapo-Varieté oder Kettenkarussel auf dem Heinerfest sind aber offensichtlich in punkto Auswirkung auf die Stadtgesellschaft überhaupt nicht mit dem Schlossgrabenfest vergleichbar.
Sowohl der Oberbürgermeister als auch die Presse in Darmstadt scheinen der Realität irgendwie „entschwebt“ zu sein.
Die Fläche ist öffentlich und damit hat die Kommune über die Nutzungsmöglichkeiten zu entscheiden. Die Kommune, das ist der von den Bürgern gewählte Oberbürgermeister und die Stadtverordneten. Nicht jeder der eine Fläche mal privatwirtschaftlich nutzen will hat automatisch ein Recht darauf.
Da kann man ja mal ins Grübeln kommen. Da ist also ein Fest, dass auf öffentlichem Grund stattfindet, große Teile der Innenstadt in Beschlag nimmt, Darmstadt über die Schwelle zum Verkehrsinfarkt befördert und bei dem die Bürger allein für das Betreten der (städtischen) Fläche Eintritt bezahlen müssen? Sie dürfen mich gerne einen Spießer nennen, aber das wird man ja mal hinterfragen dürfen!
Warum machen wir Darmstädter kein kleines Festival und geben lokalen Veranstaltern mal die Auswahl der Acts? Wird dann alles kleiner, aber besser, billiger und vor Allem (orientiert am Heinerfest Motto): Für Alle.
Jede Mutter mit Ihren Kindern auf Ihrem Lastenrad und jede Oma und jeder Opa können dann wieder durch den Herrngarten ohne sich durch Sperren und Kontrollen den Weg bahnen zu müssen.
Also habe ich mir die neue Informationsfreiheitssatzung der Stadt Darmstadt zu Nutze gemacht und einfach mal nach der Rechtsgrundlage für das Schlossgrabenfest gefragt. Welche Vereinbarungen gibt es da eigentlich? Wieviele Kosten trägt denn die Stadt Darmstadt schon im Zusammenhang mit der Durchführung des Schlossgrabenfests? Und inwiefern war die Stadt an der Entscheidung über die Erhebung von Eintrittsgeldern beteiligt?
Kurz vor dem Fest wurde ich sehr freundlich Informiert, dass die Bearbeitung meiner Anfrage länger dauern wird. Ich bin so gespannt!
Heute lese ich im Echo Online: „Veranstalter: „Kein Eintritt. Kein Schlossgrabenfest“. Die Darmstädter sollten sich davon nicht einschüchtern lassen. Denn ein Schlossgrabenfest in dieser Form braucht Darmstadt nicht.
Nachwort:
Der Artikel wurde einige Male ergänzt und es gäbe immer noch viel zu dem Thema zu sagen.
Zum Beispiel, dass die Veranstalter des Schlossgrabenfests im oben angeführten Echo Artikel erklären lassen, dass die Einführung des Eintrittsgeldes unvermeidbar war, solange es keinen anderen Finanzierungsmöglichkeiten gebe. Das wundert mich, war es doch über 20 Jahre möglich die Veranstaltung ohne Eintritt durchzuführen. Die Werbeoffensive, die beim Schlossgrabenfest stattfindet, wird wohl auch nicht ganz kostenfrei sein. Schließlich wäre die Alternative schlicht das Programm abzuspecken, jungen Bands eine Chance zu geben anstatt Ohrenschmalz-Produzenten wie Howard Carpendale zu finanzieren. Aber das hören die Werbekunden vielleicht nicht so gerne?
Festzuhalten ist auch, dass ein Darmstädter Bürger (laut Echo) in sozialen Netzwerken eine Rechnung aufgestellt hat, nach der die Veranstalter beim Schlossgrabenfest Millionengewinne gemacht hätten. Dagegen wollen die Veranstalter mit einem Anwalt vorgehen. Der Darmstädter Bürger, der die Rechnung aufgemacht hat, darf sich gerne bei mir melden. Es ist schon bemerkenswert, wenn Unternehmer gegen die Unterstellung unternehmerischen Erfolgs vorgehen wollen.