Die staatliche Chat-Kontrolle klopft an die Tür. Zur Bekämpfung der Kinderpornographie soll jedermanns elektronische Kommunikation auf die Verbreitung rechtswidriger, weil kinderpornographischer, Bilder automatisch geprüft werden. Dabei räumt die europäische Kommission selbst ein, dass es dabei zu hohen Fehlerquoten kommen wird, wie gerade erst durch einen Leak bekannt wurde. Die aktuell verfügbare Software zur Erkennung von Grooming, also der Anbahnung sexueller Kontakte mit Jugendlichen durch Erwachsene hat eine Trefferquote von 90 %, was bedeutet ein Zehntel aller Meldungen der Software sind Fehler, also falsch-positiv und damit grundsätzlich als Verdachtsfälle zu behandeln.
Überwachung der Kommunikation
Edward Snowden haben wir es zu verdanken, dass wir Kenntnis davon erhalten haben, dass amerikanische Geheimdienste und ihre Verbündeten nach dem 11.09.2011 den Versuch unternommen haben, sämtliche Kommunikation verdachtsunabhängig zu kontrollieren. Mit der nun von der europäischen Kommission geplanten Chat-Kontrolle würde die inhaltliche Durchleuchtung privater Kommunikation zu einem rechtlich legitimen Mittel.
Die Position unserer Justizministerin Nancy Faeser ist einfach nur peinlich. Während die Ampel-Koalition im Koalitionsvertrag klar festgehalten hat, dass allgemeine Überwachungspflichten und Maßnahmen zum Scannen privater Kommunikation ausgeschlossen sind, kündigt sich in einem Positionspapier des Bundesinnenministeriums die Änderung dieser Position an. Darüber berichtet netzpolitik.org.
Statt einer Durchsuchung der Inhalte während der Übermittlung, soll nun direkt auf den Endgeräten der Nutzer nach rechtswidrigen Inhalten gesucht werden.
Unterschied für den Betroffenen = 0
Verlust der Privatsphäre am Endgerät = 100 %
Aufhänger für die geplante Chat-Kontrolle ist der Kampf gegen ein fürchterliches Verbrechen, nämlich den Kindesmissbrauch. Beziehungsweise die Regelung, die zur Bekämpfung solcher Taten in das Strafgesetzbuch aufgenommen wurde, der Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornographischer Inhalte in § 184 b StGB.
Ich will erläutern, welche unterschiedliche Ausprägungen die Straftaten haben können, die unter diesen Begriff fallen und Ihnen aufzeigen, dass bisher 40 % der Verdächtigen in diesem Tatspektrum selbst minderjährig sind.
Bilderkennung auf dem Endgerät der Nutzer
Die Diskussion um Bilderkennung auf dem Endgerät der Nutzer nahm im Sommer 2021 Fahrt auf. Apple kündigte an in iOS 15 eine Funktion zum sog. CSAM-Scanning zu implementieren. Auf heise online führte dies zur Überschrift „Totalüberwachung durch die Hintertür – Apples fataler Sündenfall“.
Die „Totalüberwachung im Interesse des Kinderschutzes“ so der Autor Jürgen Schmidt bedeutet nichts anderes als „im System verankerte Wanzen, die permanent auf unseren Geräten nach inkriminierten Inhalten suchen!“. Apple hat später von der geplanten Kontrolle auf dem Endgerät der Nutzer Abstand genommen. Statt dessen plant nun die europäische Kommission entsprechenden Kontrollen staatlich anzuordnen.
Unter dem Titel „Chatkontrolle STOPPEN!“ hat sich eine Bewegung gebildet, die Chatkontrolle verhindern möchte.
Ungenaue Bild-Scanner
Die (Un)genauigkeit solcher Bild-Scanner war Gegenstand eines Praxistests zweier Doktoranden an der Technischen Universität Darmstadt, Dominik Hintersdorf und Lukas Struppek (hier geht es zum Paper: Learning to Break Deep Perceptual Hashing: The Use Case NeuralHash).
Die wissenschaftliche Untersuchung am Fachbereich Informatik der TU Darmstadt offenbarte ganz erhebliche Schwachstellen und Manipulationsmöglichkeiten der dabei eingesetzten Technologien des Client-Side-Scanning und Deep Perceptual Hashing. Dazu gehören die Möglichkeiten der Verfälschung der Bilderkennung hin zu einer Falscherkennung. Man kann also so manipulieren, dass ein normales Bild als rechtswidrig, weil vermeintlich kinderpornographisch, erkannt wird, als auch so, dass man rechtswidrige Bilder durch Kenntnis der Schwachstelle des Algorithmus als legale Bilder tarnen kann.
Rechtsverfolgung in Hessen
Die Ermittlungen für Darmstadt und ganz Hessen in solchen Fällen findet durch eine Besondere Aufbauorganisation, namens FOKUS (Fallübergreifende Organisationsstruktur gegen Kinderpornografie Und Sexuellen Missbrauch von Kindern), statt.
Dort sind 156 Ermittlerinnen gegen Sexualverbrechen an Schutzbefohlenen im Einsatz.
Ausgangspunkt der Tätigkeit dieser Ermittler ist heute eine „entsprechende“ Software, die wohl verdächtige Inhalte aus dem öffentlichen Internet fischt.
Im Darmstädter Echo vom 06.07.2022 war unter der Überschrift „Die Tücken der Bild-Scanner“ zu lesen, dass seit Gründung der BAO im Oktober 2450 Wohnungsdurchsuchungen durchgeführt worden sind.
40 % der Täter sind minderjährig
Vor einiger Zeit (im Mai 2022) wurde die Sonderauswertung der Polizeilichen Kriminalstatistik des Bundeskriminalamts zu Fällen der Verbreitung, des Erwerbs, Besitz und Herstellung von Darstellungen sexueller Gewalt an Kindern und Jugendlichen veröffentlicht.
Will man über die Kriminalität in diesem Bereich sprechen muss man sich mit dem Spektrum der Taten in diesem Bereich auseinander setzen. Die Herstellung kinderpornographischer Medien ist etwas fürchterliches. Von § 184b StGB werden aber genauso Fälle erfasst, in denen kinderpornographisches Material auf ein Handy gesendet wird und dort nicht gelöscht wird.
Insgesamt 15.500 Fälle mit Bezug zu Kinderpornographie konnten im Jahr 2021 abgeschlossen werden. Es gibt ein riesiges Dunkelfeld. Die größte Tätergruppe: Männer. Anteil Minderjähriger an den Tätern: 40%!
Hier geht es zu der Sonderauswertung des BKA.
Die entsprechende Delikte sind nach der letzten Gesetzesänderung allesamt als Verbrechen zu behandeln. Das bedeutet: Die Mindeststrafe für ein solches Delikt liegt bei mindestens einem Jahr Gefängnis.
Meiner Meinung nach rollt hier ein Problem in die deutschen Haushalte, dessen Ausmaß völlig unterschätzt wird.
§ 184b Abs. 1 StGB lautet:
Kinderpornographisch ist ein pornographischer Inhalt (§ 11 Absatz 3), wenn er zum Gegenstand hat:
- a) sexuelle Handlungen von, an oder vor einer Person unter vierzehn Jahren (Kind),
- b) die Wiedergabe eines ganz oder teilweise unbekleideten Kindes in aufreizend geschlechtsbetonter Körperhaltung oder
- c) die sexuell aufreizende Wiedergabe der unbekleideten Genitalien oder des unbekleideten Gesäßes eines Kindes.
Auch derjenige, der einen solchen Inhalt abruft, sich verschafft oder besitzt muss mit der Mindeststrafe von einem Jahr rechnen, § 184b Abs. 3 StGB. Dabei muss es sich nicht zwingend um ein reales Geschehen handeln – auch das Betrachten einer wirklichkeitsnahen Darstellung ist voll strafbar.
Ein Problem ist auch das wirklich alles unter §184b fallen kann. 13j. sendet seiner 14j. Freundin ein Nude schon ein Verbrechen. LehrerIn macht in Klassenchatgruppe Screenshot von einem entsprechenden Sticker als Beweis für Anzeige (o.Rücksprache Polizei) strafbar. https://t.co/bX0XLUufuK
— Prof. Dr. Thomas-Gabriel Rüdiger (@TGRuediger) March 29, 2023
Während mit der Chat-Kontrolle alle Bürger staatlicher Kontrollmaßnahmen unterworfen werden sollen, bleiben die Sicherheitsbehörden an den Stellen untätig an denen schon heute mit einfachen Mitteln der Verbreitung kinderpornographischer Materialien entgegenwirken können. Wie Strg_F schon vor Monaten ermittelt hat, bleiben Nachrichten in pädokriminellen Foren ungelöscht.
Pädokriminelle Foren: Warum löscht niemand die Aufnahmen? | STRG_F
Im März 2023 wird auch die Politik auf das selbst geschaffene Problem aufmerksam. Sogenannte Schulhof-Fälle sollen 50 % der ermittelten Delikte ausmachen. Minderjährige, die sich selbst nackt filmen verwirklichen den Tatbestand des neu gestalteten § 184b StGB. Die Fehlerquoten beim Scannen der Online-Kommunikation (Chat-Kontrolle) seien viel zu hoch, warnt der Leiter der Zentral- und Ansprechstelle Cybercrime Nordrhein-Westfalen (ZAC NRW).